
Die neue Bundesregierung hat sich vorgenommen, die Elektrifizierung des Schienennetzes deutlich zu vereinfachen. Das Verkehrsbündnis Allianz pro Schiene und der Verband Deutscher Verkehrsunternehmen (VDV) begrüßen ausdrücklich, dass die zeitraubende Nutzen-Kosten-Berechnung laut Koalitionsvertrag künftig entfallen soll. Die Verbände gehen davon aus, dass Oberleitungen so deutlich schneller gebaut werden können als bisher. Nun müsse sich der Bund entsprechend ehrgeizige Ziele stecken und den jahrelangen Schwergang bei der Elektrifizierung durch eine schnelle Umsetzung überwinden.
„Turboknopf“ muss nur noch gedrückt werden
„Wir erwarten, dass bis zum Jahr 2035 das bundeseigene Schienennetz zu 80 % elektrifiziert ist“, sagte Dirk Flege, Geschäftsführer der Allianz pro Schiene, bei einer gemeinsamen Pressekonferenz beider Verbände am 6. Mai 2025 in Berlin. Die Koalitionäre selbst benennen in ihrem Vertrag keine Ziele, in welchem konkreten Zeitraum und Umfang es Fortschritte bei der Elektrifizierung geben soll. Flege: „Bislang wurden lediglich 75 km Oberleitungen pro Jahr im staatlichen Eisenbahnnetz gebaut.“ Mit der nun angekündigten Beschleunigung und der im Koalitionsvertrag ebenfalls angekündigten Zusatz-Finanzierung über den Klima- und Transformations-Fonds sei es aber durchaus realistisch, acht Mal schneller zu werden als bisher und bis 2035 insgesamt 80 % des Netzes zu elektrifizieren. Flege weiter: „Die Regierung hat den Turboknopf durch den Verzicht auf die Nutzen-Kosten-Berechnung bereits identifiziert, jetzt muss sie ihn nur noch drücken.“
Elektrifizierung auch für militärische Zwecke
Neben den Umweltvorteilen einer zunehmenden Elektrifizierung wird das Schienennetz außerdem leistungsfähiger und resilienter, da auf Strecken mit Oberleitungen längere und schwerere Züge gefahren werden können. Letzteres sei für die Logistikfähigkeit Deutschlands und Europas relevant, was auch unter militärischen Gesichtspunkten wieder wichtiger werde, so Oliver Wolff, Hauptgeschäftsführer des VDV). „Niemand hat in den letzten Jahrzehnten bei der Ertüchtigung und Modernisierung des deutschen Schienennetzes an militärische Zwecke gedacht. Aber die Zeiten haben sich geändert. Deutschland ist die zentrale Logistikdrehscheibe für Waren- und Gütertransporte in Europa, das müssen wir auch für solche Fälle und für das gesamte Schienennetz berücksichtigen“, sagte Wolff.
Einfachoberleitung spart Aufwand und Kosten
Der VDV-Hauptgeschäftsführer wies zudem auf die kostengünstigere Elektrifizierung bei Nebenstrecken hin: „Bislang wurden Oberleitungen immer für Geschwindigkeiten von mindestens 160 km/h ausgelegt. Das ist in vielen Fällen unnötig und verursacht hohe Kosten. Wir empfehlen bei der Elektrifizierung von Nebenstrecken eine Regeloberleitung 100 km/h (Einfachoberleitung), um Bauaufwand und Kosten zu sparen.“
Schienenbranche steht in den Startlöchern
Die Schienenbranche bereite sich schon seit Monaten auf einen beschleunigten Ausbau von Oberleitungen vor, so Wolff. „Die Unternehmen arbeiten bei der Ausbildung von Oberleitungsmonteuren zusammen, es werden mehr Fachkräfte eingestellt. Am Personal wird der Elektrifizierungs-Turbo also nicht scheitern.“
Auch Grenzübergänge müssen elektrifiziert werden
Ganz entscheidend ist aus Sicht beider Verbände, dass die Grenzübergänge zwischen Deutschland und seinen europäischen Nachbarländern systematisch elektrifiziert werden. Flege: „Hier tut sich seit Jahren viel zu wenig. Insgesamt sind nur 28 von 57 Grenzübergängen mit Oberleitungen ausgestattet, insbesondere an den Grenzen zu Polen und Tschechien gibt es enormen Nachholbedarf – den schnellstmöglich anzugehen, ist aus verteidigungspolitischer Sicht wichtig. Davon profitiert aber auch der internationale Personen- und Güterverkehr auf der Schiene, weil sich Reisezeiten dadurch deutlich verkürzen.“
Text: Allianz pro Schiene/VDV, Grafik: Allianz pro Schiene