Die Bundesregierung ist zur Hälfte ihrer Amtszeit noch größtenteils im Rückstand bei der Erfüllung ihrer selbst gesteckten verkehrspolitischen Ziele. Zu diesem Ergebnis kommen das gemeinnützige Verkehrsbündnis Allianz pro Schiene, Allgemeiner Deutscher Fahrradclub (ADFC) und Auto Club Europa (ACE). Die drei Verbände haben überprüft, inwieweit Versprechen aus dem Koalitionsvertrag bereits umgesetzt wurden. Die Bundesregierung erhält demnach im Zwischenzeugnis für ihre Verkehrspolitik lediglich die Note 4 („ausreichend“). Mit Blick auf die zweite Hälfte der Regierungsperiode forderten die Verbände am 30. August 2023, die ausstehenden Vorhaben schneller anzugehen. Außerdem fordern sie eine systematischere Herangehensweise an die Verkehrswende, bei der Straße, Schiene und Radverkehr für den Verkehr von morgen zusammengedacht werden.
Zwischen den einzelnen Themenfeldern der Verkehrspolitik gibt es durchaus größere Unterschiede in der Bewertung: Mehr Geld in die Schiene als in die Straße investieren – der Fortschritt bei diesem Koalitionsziel wird von den Verbänden als gut bewertet (Note 2), die Radverkehrspolitik bekommt angesichts sinkender Mittel die Note 4 – und beim noch ausstehenden Abbau umwelt- und klimaschädlicher Subventionen reicht es nur für ein „mangelhaft“.
In ihrem Koalitionsvertrag hat sich die Ampel-Regierung vorgenommen, den ÖPNV attraktiver zu machen – etwa indem es günstiger wird, die Schiene zu nutzen. Außerdem will sie einheitliche Standards für die Erreichbarkeit in urbanen und ländlichen Räumen definieren. Dazu sagt der Geschäftsführer der Allianz pro Schiene, Dirk Flege: „Das Deutschlandticket ist verkehrspolitisch ein Riesenschritt nach vorn. Mit einem einfachen und preislich hochattraktiven Nahverkehrsticket für ganz Deutschland ist die Regierung sogar über das hinausgegangen, was im Koalitionsvertrag angekündigt wurde. Das gilt es ganz klar anzuerkennen. Allerdings liegt noch ein weiter Weg vor der Ampel, wenn es darum geht das Angebot auszubauen und einheitliche Standards zur Erreichbarkeit in Stadt und Land zu definieren und umzusetzen.“
Auf der Zielgeraden ist das Vorhaben der Koalition, Einnahmen aus der Lkw-Maut ab 2024 auch für den Ausbau von Alternativen zum Straßenverkehr zu verwenden. Ein entsprechender Gesetzentwurf liegt vor und soll im Herbst im Parlament entschieden werden. Unverändert großen Nachholbedarf sieht die Allianz pro Schiene aber bei dem Versprechen der Koalitionäre, das Schienennetz zu erweitern und Strecken zu reaktiveren. Dass die Investitionen in die Schiene ab 2024 deutlich aufgestockt werden sollen, gehe zwar in die richtige Richtung. Aber etwa bei der Elektrifizierung des Schienennetzes gebe es kaum Fortschritte. Dirk Flege: „Es müsste acht Mal so schnell gehen wie bisher, um bis 2030 tatsächlich 75 Prozent des Schienennetzes zu elektrifizieren. Die Beschleunigungskommission Schiene hat dazu längst Vorschläge gemacht, wie man bei der Elektrifizierung auch durch weniger Bürokratie schneller vorankommt. Die Vorschläge liegen auf dem Tisch, jetzt ist die Regierung gefragt, Nägel mit Köpfen zu machen.“
Beim Thema Radverkehr bekommt die Ampel-Koalition von den Verbänden nur die Gesamtnote 4. Vorgenommen hat sich die Bundesregierung laut Koalitionsvertrag, die Radwegenetze so auszubauen, dass Deutschland bis 2030 zum attraktiven Fahrradland wird (Umsetzung des „Nationalen Radverkehrsplans“). Außerdem sollte eine Reform von Straßenverkehrsgesetz und Straßenverkehrsordnung den Kommunen mehr Spielräume geben, Platz und gute Bedingungen zum Radfahren zu schaffen. Als dritten Punkt wollte die Bundesregierung die für die Stärkung des Radverkehrs nötigen Finanzmittel absichern. In allen drei Punkten gibt es Kritik der Verbände. Der Ausbau geht demnach kaum voran, die ersten Entwürfe für ein neues Verkehrsrecht gehen nicht weit genug – und zuletzt hat die Bundesregierung die Mittel für den Radwegebau sogar halbiert. Angela Kohls, Leiterin Verkehrspolitik beim Fahrradclub ADFC, sagt: „Die Bundesregierung hält beim Radverkehr nicht, was sie versprochen hat. Wer die Mittel für den Radwegebau drastisch kürzt, kein Umsetzungskonzept für den Nationalen Radverkehrsplan vorlegt und im Verkehrsrecht weiter den flüssigen Kfz-Verkehr vor die Sicherheit der Menschen und eine nachhaltige Verkehrsplanung setzt – der meint es nicht ernst mit der Fahrradförderung. Radfahren in Deutschland bleibt etwas für Mutige.“
Auch was den Ausbau der Ladeinfrastruktur für E-Autos angeht, schneidet die Koalition in der Bewertung der drei Verbände schlecht ab. ACE-Vorsitzender Stefan Heimlich beklagt zu wenig Tempo: „Mit dem Masterplan Ladeinfrastruktur wurden zwar gute Grundlagen geschaffen – allerdings sind bislang gerade einmal neun der insgesamt 68 Maßnahmen umgesetzt. Für eine Halbzeit-Bilanz ist das viel zu wenig. Ein neues Förderprogramm für die Ladeinfrastruktur wurde immerhin angekündigt. Aber was den Punkt im Koalitionsvertrag angeht, dass Deutschland Leitmarkt für Elektromobilität werden soll, da hat uns China längst überholt – und es ist schwer vorstellbar, dass wir das in den nächsten zwei Jahren noch aufholen können.“
Insbesondere beim Abbau umwelt- und klimaschädlicher Subventionen appellieren die drei Verbände an die Bundesregierung, Dienstwagen- und Dieselprivileg sowie die Kerosinsteuerbefreiung abzuschaffen. „Dass Einnahmen aus der Lkw-Maut künftig auch jenseits von Fernstraßen in Mobilität investiert werden können, ist ein Lichtblick. Dagegen hat sich beim Abbau umwelt- und klimaschädlicher Subventionen aber kaum etwas in die richtige Richtung bewegt“, sagte Dirk Flege. Insgesamt beklagen die Verbände, dass eine Gesamtstrategie für die Verkehrsträger Straße, Schiene und Radwege fehlt. Flege: „Es ist bislang keine klare Linie erkennbar, wo Deutschland hin will bei der Verkehrswende. Die Bundesregierung muss Schiene, Straße und Radwege viel stärker vernetzt denken und klar die Maßnahmen priorisieren, die den größten Beitrag zur Verkehrswende leisten können.“ ADFC, ACE und Allianz pro Schiene planen, ihren Ampel-Check Verkehrspolitik fortlaufend zu aktualisieren.
Text: Allianz pro Schiene/red, Bild: Deutsche Bahn AG / Dominic Dupont