Anstelle des von der Ampel-Koalition vor zwei Jahren für die Schiene angekündigten „Programms Schnelle Kapazitätserweiterung“ gibt es 2023 die großen Frust-Festspiele. In diesem Jahr geht in ganz Deutschland nach Recherchen des europäischen Netzwerks GÜTERBAHNEN kein Neubau, kein Ausbau, keine Streckenreaktivierung und nicht einmal eine neue Oberleitung in Betrieb. Peter Westenberger, Geschäftsführer der GÜTERBAHNEN, sagte am 7. November 2023 in Berlin: „Intensive Medienarbeit und immer weitere Beschleunigungsgesetze können nicht verbergen, dass Bund und DB seit vielen Jahren nicht liefern, was nötig ist. Mehr und pünktlicher Verkehr auf der Schiene braucht mehr Gleise und Technologie für das 21. Jahrhundert.“
Gemittelt auf die vergangenen sechs Jahre wurden in Deutschland jährlich 23,2 Kilometer Strecke neu gebaut oder mit einer Oberleitung leistungsfähiger gemacht. Westenberger: „Ein solches Ergebnis wäre in anderen Branchen ein ausgewachsener Skandal – man stelle sich nur mal vor, ein Jahr würde vergehen, ohne dass ein einziger Autobahnabschnitt oder eine Umgehungsstraße eingeweiht wurde. Auf Floskeln wie ‚Starke Schiene‘ oder ‚Deutschlandtempo‘ reagieren Bahnen und ihre Kunden mittlerweile skeptisch statt enthusiastisch.“
Zahlreiche ursprünglich für 2023 angekündigte Projekte mussten verschoben werden, zum Beispiel der zweigleisige Ausbau der Gäubahn oder der Ausbau der Weddeler Schleife. Während in den gesamten 30 Jahren seit der Bahnreform das Schienennetz insgesamt nur um 2100 Kilometer erweitert wurde (und gleichzeitig über 5000 Strecken-Kilometer stillgelegt wurden), wuchs und wächst das Straßennetz jedes Jahr um 10.000 Kilometer. Westenberger: „Es zeichnet sich zurzeit nicht ab, dass Verkehrsminister Wissing und der DB-Vorstand diesen Prioritäten-Graben überbrücken. Während bei der Schiene fast nur noch über Sanierungen bestehender Strecken gesprochen und bis 2030 nur ein Ausbau des Netzes um 750 Gleiskilometer oder 1,2 % geplant wird, soll auf der anderen Seite der beschleunigte Autobahnausbau kommen.“
Dabei wäre es gerade im Vorfeld der angekündigten Generalsanierung von 40 Abschnitten (siehe Regionalverkehr 6-2023) von Bedeutung, vorher zusätzliche Kapazität durch den Ausbau von Strecken zu schaffen. Die GÜTERBAHNEN fordern, dass mithilfe eines Infrastrukturmonitorings die Umsetzung des Auftrags zum Netzausbau aus dem Bundesschienenwege-Ausbaugesetz von 2016 besser kontrolliert wird. Westenberger: „Nur Taten zählen. Wenn die Ampel keine weiteren Schritte zur besseren Kontrolle und Transparenz bei der gemeinwohlorientierten DB InfraGO AG auf den Weg bringt, werden die Projekte auch künftig heimlich nach hinten verschoben.“
Auch die Politik sehen die GÜTERBAHNEN in der Pflicht. Der 2016 angekündigte Investitionshochlauf war schon viel zu schwach. Auch nach den angekündigten 45 Milliarden Euro zusätzlich bis 2027 ist bisher unklar, wie viel in den Neu- und Ausbau und die Elektrifizierung gehen sollen. Westenberger abschließend: „Solange wir keine konkreten Zahlen haben, wieviel der zusätzlichen Mittel für Kapazitätserweiterung ausgegeben werden soll, müssen wir befürchten, dass die Generalsanierung zum Finanzkonkurrenten des Neu- und Ausbaus wird. Stattdessen muss der Neu- und Ausbau die gleiche Priorität erhalten und das Geld in einem Infrastrukturfonds nach Schweizer Vorbild überjährig bereitgestellt werden.“
Text: Die GÜTERBAHNEN/red, Bild: Deutsche Bahn AG / Volker Emersleben