Am 21. Juni 1996 war man bei Linke-Hofmann-Busch (LHB) schwer enttäuscht: Die DB AG hatte 300 Leichttriebzüge bei mehreren Herstellern geordert, darunter allein 150 zweiteilige Desiro der Baureihe 642 bei Siemens Transportation Systems (STS). Bei LHB waren lediglich 30 einteilige LINT der BR 640 bestellt worden. Nur wenige Jahre später hatte sich die Enttäuschung gelegt, denn innerhalb von zwei Jahrzehnten entwickelte sich die LINT-Familie zum meistverkauften Dieseltriebzug in Deutschland und anderen europäischen Ländern: Bisher wurden mehr als 1000 Einheiten gefertigt, die jüngsten Chargen wurden erst zum Fahrplanwechsel 2022/23 ausgeliefert. Angeboten wird die heute als Coradia Lint bezeichnete Fahrzeugfamilie mittlerweile vom Hersteller Alstom, der LHB bis 1997 komplett übernommen hatte. Entsprechend ihrer Fahrzeuglängen werden die Coradia Lint als Lint 27 (einteilig), Lint 41 (zweiteilig, mit Jakobsdrehgestell in der Mitte), Lint 54 (zweiteilig, mit vier Fahrwerken) und Lint 81 (dreiteilig) bezeichnet. Hinzu kommt das Modell iLint mit Wasserstoffantrieb.
Dem Lint 27 war kein großer Erfolg beschieden, nur 47 Einteiler wurden insgesamt bestellt. Neben den 30 Einheiten für die DB Regio AG wurden 2004/05 zehn Lint 27 für die Hessische Landesbahn GmbH (HLB) und sieben Exemplare für die Transdev Sachsen-Anhalt GmbH gefertigt. Die DB setzte ihre Triebwagen zunächst in Nordrhein-Westfalen ein, so auf den Linien Finnentrop – Olge und Siegen – Bad Berleburg. Seit 2014, nach dem Verlust diverser Ausschreibungen, rollen die Einteiler auf der Lahn-Eifel-Bahn genannten Verbindung Limburg – Koblenz – Kaisersesch, in Niedersachsen auf den Strecken Göttingen – Einbeck Mitte und Braunschweig – Salzgitter-Lebenstedt sowie an der Ostsee zwischen Velgast und Barth. Einsätze bei der DB-Tochter Südostbayernbahn auf den Verbindungen von Traunstein nach Garching, Traunreut und Waging scheiterten 2022 aufgrund der Störanfälligkeit der Fahrzeuge, insbesondere beim Kuppeln und Flügeln. Knapp die Hälfte der DB-Triebwagen ist inzwischen abgestellt, unter anderem beim Stillstandsmanagement Mukran auf der Insel Rügen, oder dient nur noch als Ersatzteilspender.
Bei der HLB rollten die Lint 27 unter der Marke Vectus zunächst auf den Linien Limburg – Koblenz und Wiesbaden – Niedernhausen. Seit 2014 sind sie, modernisiert und in HLB-Farben lackiert, auf den Strecken von Limburg nach Siershahn und Au (Sieg) im Einsatz.
Die Transdev-Einteiler fuhren von 2005 bis 2018 (zusammen mit 16 Lint 41) unter der Marke Harz-Elbe-Express (HEX) unter anderem auf den Linien Halberstadt – Blankenburg (Harz) und Könnern – Bernburg (Saale). Als Transdev die Folgeausschreibung des HEX-Netzes verlor, wurden die Fahrzeuge überflüssig. Drei der Transdev-Lint wurden Ende 2018 von der Hanseatischen Eisenbahn GmbH (HANS) übernommen und rollen seitdem auf den Strecken von Stendal nach Tangermünde und Rathenow. Die übrigen vier Fahrzeuge fahren heute zusammen mit elf ehemaligen Transdev-Zweiteilern beim Betreiber Leo Express in der Tschechischen Republik.
Text: Tim Schulz, Bild: Regionalverkehr