Die „Schwarze Schiene“ ist im ÖPNV längst ein Begriff. Dies meint vor allem durch Laub verursachte dunkle Ablagerungen, wodurch Schienen vor allem in Herbst schnell rutschig werden. Bei der Kasseler Verkehrs-Gesellschaft AG (KVG) kommt jetzt die „Weiße Schiene“ ins Spiel: In Eigenregie haben zwei Mitarbeiter der KVG-Infrastruktur-Abteilung im Betriebshof Bad Wilhelmshöhe eine „Sonnenschutz-Lore“ gebaut. Dieses wird über das Gleis geschoben und spritzt dabei weiße Farbe seitlich an die Schienen. In den vergangenen Wochen wurden die ersten Gleisstrecken der KVG im Stadtgebiet sowie Abschnitte auf der Tramstrecke durch das Lossetal behandelt, und weitere werden folgen.
„Bei einem Urlaub in Italien habe ich auf einer Eisenbahn-Strecke weiße Schienen gesehen“, berichtete Ideengeber Michael Fiedler am 20. Juni 2024. Schnell war ihm klar: Die helle Farbe reflektiert Sonnenlicht und schützt damit den Stahl vor zu starker Erhitzung. „Bis zu acht Grad kann die Temperatur auf der Schiene gesenkt werden“, berichtet Fiedler von den Erfahrungen anderer Verkehrsunternehmen.
Im Sommer erhitzen sich Schienen, vor allem wenn sie nicht eingedeckt im Schotterbett liegen, auf bis zu 65 Grad. Der Stahl ist robust. Bei zu langer direkter Sonneneinstrahlung aber dehnt er sich aus, und die Druckspannung kann sich in so genannten Gleisverdrückungen entladen. Im rund 130 km langen Straßenbahnnetz der KVG passiert das einige Male im Jahr, zuletzt im Hochsommer 2023. Die Folge sind Verspätungen von Bahnen, weil sie über diese Stellen nur langsam fahren können. Im schlimmsten Fall muss wegen der stark verformten Strecke der Betrieb eingestellt werden. Hinzu kommen Kosten von im Schnitt 25.000 Euro, um die Schienen wieder ins Lot zu bringen. Und das Risiko steigt mit heißer werdenden Sommern.
Mitarbeiter mit Farbeimer und Pinsel durch das Schienennetz zu schicken – ein absurder Gedanke, denn das wäre zu aufwändig und damit zu kostenintensiv. Jetzt gehört zum Fuhrpark der KVG die neue Sonnenschutz-Lore, die aus einem verschweißten Stahlrohrrahmen besteht und leicht zu bedienen ist.
Am Rahmen sind zwei akku-betriebene Lackierpistolen montiert. Der Clou ist der zentrale Farbbehälter: Ein ausrangierter Feuerlöscher. Der wurde, ganz im Sinne von Upcycling, oben aufgeschweißt und bietet Platz für bis zu sechs Liter Farbe. Unter dem Gefährt sind Rollen befestigt, die das Fahrzeug auf den Schienenköpfen halten. Mit Farbe lackiert werden Steg und Fuß, die Seiten der Schienen.
Die Weiße Schiene wird nicht im gesamten Netz der KVG zu sehen sein, das wäre des Guten zu viel. Im Programm stehen zunächst Abschnitte mit Vignolgleisstrecken, die direkter Sonne ausgesetzt sind. Das sind insgesamt aber auch noch rund 40 km, zum Beispiel auf der Helleböhnstrecke, in der Fuldatalstraße und in der Wendeschleife Kaufungen-Papierfabrik.
Text: KVG/red, Bild: Kasseler Verkehrs-Gesellschaft AG (KVG)