Seit Anfang Februar 2023 surren sechs Elektrobusse des Herstellers MAN im Linienverkehr über die Nordseeinsel Sylt: Die Sylter Verkehrsgesellschaft (SVG) erhielt zwei Solobusse des Typs MAN Lion’s City 12 E und vier Gelenkzüge des Typs Lion’s City 18 E. Das erste Fahrzeug, ein Solobus, kam bereits im Oktober 2022 auf die Insel, die übrigen Fahrzeuge wurden am 19. Januar 2023 an die SVG übergeben. Die emissionsfrei fahrenden E-Busse wurden vollständig in den Betrieb der fünf Linien auf Sylt integriert. Von ihren Dieselbrüdern unterscheiden sie sich gleich durch die auffällige Beklebung in unterschiedlichen Blautönen und den Slogan „Mit Watt geladen“. Das Wortspiel nimmt nicht nur auf den Elektroantrieb Bezug, sondern auch auf den Nationalpark Schleswig-Holsteinisches Wattenmeer, in dem die Insel Sylt liegt. Auch der Fahrstrom kommt aus der Region: Er stammt von der lokalen Energieversorgung Sylt GmbH (EVS), die zu 100 Prozent Ökostrom liefert.
Die SVG möchte ihre Busflotte im Rahmen eines Green Deals in den kommenden fünf bis sechs Jahren vollständig auf E-Mobilität umstellen – mit den sechs MAN-Elektrolöwen wurde nun der erste Schritt gemacht. Die Ausgaben für die neuen E-Busse betragen etwa 4,9 Millionen Euro und werden vom Bund gefördert. Weitere fünf Millionen Euro werden in die Elektrifizierung des SVG-Betriebshofs investiert: Die Hallen in Westerland erhalten elf Ladegeräte für 22 Ladepunkte à 150 Kilowatt sowie ein umfangreiches Lademanagement-System der Firma SBRS GmbH mit Sitz in Dinslaken. Die EVS stellt einen Mittelspannungsanschluss zur Verfügung. Die Fahrzeuge werden ausschließlich per Kabel über CCS-Stecker (Combined Charging System) geladen. Um die Dächer der Busse, auf denen die Batteriepakete und die Klimaanlagen installiert sind, erreichen zu können, wurde der Betriebshof mit mobilen Hubarbeitsbühnen der euroline GmbH aus Bad Pyrmont ausgestattet. Die Umbauarbeiten, die im November 2022 starteten, sollen Ende 2023 abgeschlossen sein. Das Upgrade des Betriebshofs wird zu 50 Prozent durch das schleswig-holsteinische Ministerium für Energie, Landwirtschaft, Umwelt, Natur und Digitalisierung (MELUND) gefördert. Die Gesamtfinanzierung des Green Deals erfolgt über die Nord Ostsee Sparkasse in Zusammenarbeit mit der Investitionsbank Schleswig-Holstein.
Abgerundet wird die Stromversorgung der E-Busse durch sechs Ladegeräte am ZOB in Westerland sowie jeweils ein Ladegerät an den Endpunkten in List und Hörnum. Hier sollen die Busse nicht nur bei Bedarf nachgeladen werden, die Außenladepunkte dienen auch als Rückfallebene für Ausfälle im Betriebshof. Zudem werden die Außenladepunkte öffentlich sein, sodass hier auch Privatpersonen ihre E-Autos nachladen können.
Die sechs neuen Elektrobusse sind flott unterwegs – im städtischen Verkehr in Westerland ebenso wie im Überlandverkehr in Richtung List und Hörnum. Von Frühjahr bis Herbst füllen vor allem Urlauber und Tagesausflüger, die zwischen den Inselorten unterwegs sind, die Fahrzeuge. Für hochfrequentierte Linien eignen sich besonders die Gelenkbusse, die 53 Sitz- und 79 Stehplätze sowie Mehrzweckbereiche mit zwei Rollstuhlplätzen bieten. Die Fahrgäste können auf bequemen Polstersitzen der Firma Franz Kiel GmbH Platz nehmen, hinzu kommen Klappsitze in den Mehrzweckbereichen. Das mit dunkelblau gemustertem Stoff bezogene Gestühl harmoniert mit dem Fußboden in Echtholzoptik. Durch große Panoramafenster fällt viel Licht ins Innere. Besonders gut gelungen ist der Heckbereich, der ohne störenden Motorturm auskommt. Die Busse beschleunigen sanft und ruckfrei, Fahrgeräusche sind kaum zu vernehmen. Klimaanlagen, große Bildschirme zur Fahrgastinformation und USB-Anschlüsse, an denen mobile Endgeräte aufgeladen werden können, runden den Komfort ab. Beeinträchtigt wird die Inselrundfahrt allein durch die Beklebung der Busse, die teilweise über die Fensterflächen reicht – insbesondere vorne ist die Aussicht recht eingeschränkt. Rechtzeitig zur Sommersaison sollen auch die E-Busse mit Fahrradg-Gepäckträgern ausgestattet werden.
Die SVG setzt nicht nur auf die Elektrobusse von MAN, sondern auch auf die digitalen Serviceangebote des Herstellers. So wird das Flottenmanagement der SVG durch den MAN eManager erleichtert: Das Lade- und Batteriemanagement-System ermöglicht ein exaktes Fahrzeug- und Batterie-Monitoring, Laden mit Timer-Funktion sowie eine klimatische Vorkonditionierung der E-Busse. Durch Letztere können die Fahrzeuge beispielsweise schon vor Abfahrt im Betriebshof an der Ladesäule im Winter geheizt und im Sommer gekühlt werden, um so Batteriekapazität einzusparen und zusätzlich Reichweite zu gewinnen. Aber auch etwaige Fehler bei der Ladung werden dem Flottenverantwortlichen ebenfalls angezeigt, sodass rechtzeitig interveniert werden kann.
Pro Fahrzeug sind jeweils acht Batteriepacks auf den Dächern platziert. Auf diese Weise befinden sich die Energiespeicher außerhalb des crashgefährdeteren Heckbereichs und sind für den Service einfacher zugänglich. MAN greift auf die ausgereifte Lithium-Ionen-Batteriezelltechnologie (NMC) aus dem Konzernbaukasten zurück. Dank des intelligenten und für Stadtbusse optimierten Temperaturmanagements wird eine besonders gute Verfügbarkeit zu jeder Jahreszeit gewährleistet. Die vollelektrischen Gelenkbusse schaffen Tagesreichweiten von bis zu 350 Kilometern. Bei entsprechend guten Alltagsbedingungen sind auch noch mehr Kilometer möglich.
Die SVG verfügt über rund 40 Busse unterschiedlicher Bauarten, mit denen der Verkehr auf fünf Überland- und drei Stadtlinien erbracht wird, hinzu kommen Ausflugs- und Inselrundfahrten. Aufkommensstärkste Verbindungen sind die Linien 1 und 2 von Westerland (ZOB) nach List Hafen bzw. Hörnum, auf denen die Busse von Frühjahr bis Herbst im 20-Minuten-Takt fahren. Die Linien 3 und 4 erschließen ab Westerland (ZOB) den Osten der Insel und fahren stündlich bis zweistündlich. Die Linie 5 verkehrt mehrmals täglich zwischen List Hafen und dem Lister Weststrand. In Westerland werden die drei Stadtbus-Rundlinien A, B und C angeboten, die montags bis samstags im 90-Minuten-Takt bedient werden. Der ZOB liegt direkt neben dem Bahnhof Westerland (Sylt), sodass mit wenigen Schritten zwischen Zügen und Bussen umgestiegen werden kann.
Text: Tim Schulz, Bild: Regionalverkehr