Schon so mancher Betrachter hat sich wohl gefragt, warum manche der gelben Stadtbahnen fast genau in der Mitte der beiden Fahrzeughälften, sozusagen am Knick, eine kleine bunte Abbildung tragen. Da ist nämlich ein dekoratives Stadtwappen zu finden, oder zumindest eine ähnliche Vorlage. Für diese Überlegung gibt es jetzt Abhilfe: Nun tragen die betreffenden Züge auch innen einen Aufkleber – jeweils in der Dachschräge vorne links hinter dem Fahrerplatz. Dort ist nicht nur das Wappen nochmals abgebildet. Es gibt jeweils auch eine kurze Erklärung, was das Wappen bedeutet und seit wann und weshalb es auf dem Stadtbahnwagen durch die Lande fährt.
Denn was verbindet Cardiff – die Stadt in England – mit Degerloch oder Dürrlewang? Was eint die Stadt Menzel Bourgiba in Algerien mit Mönchfeld und Möhringen? Was ist in den letzten 40 Jahren in Stuttgart 49-mal geschehen? Die Lösung des Rätsels ergibt sich aus den Stadtbahnwagen der SSB mit „Wappen“. Jeder einzelne dieser Züge ist irgendwann in diesen vier Jahrzehnten mit einem feierlichen Akt auf den jeweiligen Ortsnamen „getauft“ worden. Anlässe dazu gab es viele: Meist handelte es sich um die Eröffnung neuer Stadtbahn-Strecken hinaus in die Stuttgarter Stadtbezirke und Stadtteile, von Bad Cannstatt bis Zuffenhausen, von Haigst bis Vogelsang. Aber auch die Partnerstädte von Stuttgart, zehn an der Zahl, wurden in den munteren Reigen einbezogen, als rollende Botschafter der kommunalen Verbundenheit.
44 Örtlichkeiten
Wenn also ab jetzt jemand in der Stadtbahn den Kopf eigenartig schräg hält – dann ist der- oder diejenige vielleicht gerade auf Wappen-„Bildungsreise“. Die Idee zum Wappen-Erläuterungsaufkleber kam übrigens von einem Stadtbahnfahrer der SSB, der von einem Fahrgast angesprochen worden war. Und weil man bei der SSB auf den Rat „historischer“ Experten hören wollte, wurden einschlägige externe Fachleute eingebunden, so Wolfgang Jaworek von der Geschichtswerkstatt Stuttgart Süd, Ulrich Gohl vom Museumsverein Stuttgart Ost sowie die Geschichtswerkstatt Degerloch, hier vertreten durch Dr. Bertram Maurer. Auch die drei Wagen der Zahnradbahn sind in die „Erklärungsaktion“ einbezogen.
Genau 49 Taufvorgänge von gelben Schienenfahrzeugen hat man bei der SSB bisher gezählt, wobei mehrere Ortsteilnamen doppelt vergeben wurden und inzwischen ein paar Wagen ausgeschieden sind. Allerdings hat die SSB die Wappen dieser Fahrzeuge feierlich an jüngere Exemplare weitergereicht. So gibt es bisher ingesamt 44 verschiedene Namen von Städten, Stadtbezirken oder Ortsteilen, die an den SSB-Wagenpark vergeben wurden. Davon sind aktuell 41 auf Stadtbahnwagen unterwegs, drei auf der Zahnradbahn und ein „gewappnetes“ Gefährt auf der Museumslinie 21/23.
Hintergrund
Wenn Schiffe getauft werden können, warum nicht auch Schienenfahrzeuge? Schließlich war es schon in den rund 100 ersten Jahren der Eisenbahn üblich, Lokomotiven mit mehr oder weniger klangvollen Namen zu versehen. Auch die ersten Loks der Stuttgarter Zahnradbahn „hörten“ auf die lokalen Bezeichnungen Degerloch, Stuttgart, Filder, Alb oder gar Aussicht. Erst die anwachsende Bürokratie, das Streben nach Effizienz und Zeitersparnis (auch schon vor über 100 Jahren) und der Einfluss des Militärs brachten dann bei den Bahnverwaltungen den Wechsel auf kurze, griffige, schnöde Nummern statt Namen.
Begründet hat die Fahrzeugtaufen bei der SSB vor 40 Jahren jemand, dem solche feierlichen Akte von Berufs wegen vertraut sind: Pfarrer Siegfried Bassler aus Stuttgart. Im Herbst 1984 feierten SSB und Anwohner das 100-jährige Bestehen der Zahnradbahn. Bassler, heimatverbundener Ur-Heslacher, wünschte sich zur Feier des Tages einen besonders würdigen Akt: die Namenstaufe der damaligen Fahrzeuge der Bergbahn. So wurden am 15. September jenes Jahres die beiden Triebwagen 1001 und 1002 auf die Zusätze Heslach und Degerloch getauft. Bei SSB und Bezirksrathäusern fand die Aktion großen Anklang, sodass die Namensgebung von Eröffnungszügen beim Ausbau des Stadtbahnnetzes ab 1986 zur Gewohnheit wurde.
Bis heute erhielten rund drei Dutzend Namen von Örtlichkeiten aus Stuttgart oder Umgebung ein luftiges Plätzchen an Stadtbahnzügen, dazu kamen die Stuttgarter Partnerstädte. Der bunte Namensreigen ist übrigens keineswegs zu Ende: Der Ausbau des Schienennetzes der SSB geht weiter. Auch sind noch nicht alle Stadtbezirke und Stadtteile mit Stadtbahnanschluss „verteilt“, was die Namensgebung der Fahrzeuge angeht. Nach der Taufe – die letzte war in diesem Frühjahr Zug 3619 alias „Heslach“ (zweite Besetzung) – ist also vor der Taufe.
Text: SSB/red, Bild: Stuttgarter Straßenbahnen AG