Wie lassen sich vollautomatisierte Bereitstellungs- und Abstellungsfahrten von Triebzügen umsetzen? Dieser Frage widmet sich das Forschungsprojekt „Stabling automation for multiple units“ (SAMU), das die FH Aachen ins Leben gerufen hat. Beteiligt sind die Südwestdeutsche Landesverkehrs-GmbH (SWEG) – zusammen mit den Konzerntochtergesellschaften Trapico GmbH und SWEG Schienenwege GmbH –, sowie die Talbot Services GmbH, ein Unternehmen für Schienenfahrzeugbau aus Aachen. Das Projekt wird im Rahmen der Innovationsinitiative mFUND mit insgesamt fast 200.000 Euro durch das Bundesverkehrsministerium gefördert. Den entsprechenden Förderbescheid übergab Michael Theurer (FDP), Parlamentarischer Staatssekretär bei Bundesverkehrsminister Volker Wissing (FDP) und Beauftragter der Bundesregierung für Schienenverkehr, am 17. August 2023 an die Projektpartner. Theurer erläutert: „Autonome ÖPNV-Verkehre sind gerade mit Blick auf den Fachkräftemangel eine große Chance. Ich glaube, dass gerade für schienengebundene Systeme hier noch große Potentiale gehoben werden können.“
Gegenstand des Projekts ist die Entwicklung einer Datenerfassungs- und Auswertungseinheit zusammen mit einer Steuerungseinheit, die Fahrten ohne Personal im Rangierbereich von Personenbahnhöfen ermöglicht. Die Einheit nutzt dabei voraussichtlich eine Kombination aus Kamera und 3D-Laserscanner, um den Fahrweg abzusichern. Dank einer rückwirkungsfreien Umsetzung könnte keine Zulassung oder Änderung der Schienenfahrzeuge erforderlich sein – dies gilt es im Forschungsvorhaben zu evaluieren. Sollte dies im Forschungsprojekt bestätigt werden, könnte dies zu einer Initialzündung für den automatisierten Eisenbahnbetrieb führen. Tobias Harms, Vorsitzender der SWEG-Geschäftsführung: „Erst wenn die Technik auf bereits operierende Fahrzeuge übertragbar ist, ohne die Zulassung zu gefährden, wird sie auch für das Verkehrsunternehmen und die Industrie wirtschaftlich interessant. Kein Unternehmer kann riskieren, wegen einer neuen Technik die Zulassung für das Fahrzeug zu verlieren.“ Zum Ende der Projektlaufzeit ist geplant, eine temporär auf einem Talent-3-Triebfahrzeug montierte Einheit im Bahnhof Bad Krozingen (Landkreis Breisgau-Hochschwarzwald) zu testen und dabei auch Fehlerszenarien – zum Beispiel Personen im Gleis – nachzustellen. Zudem könnten die Triebfahrzeugführer so von vor- und nachbereitenden Arbeiten entlastet werden, sodass sie sich auf ihre eigentliche Arbeit – das Fahren von Zügen – konzentrieren könnten. „Es handelt sich daher auch um keine Rationalisierungsmaßnahme, sondern um die Möglichkeit für einen effektiven Einsatz des Personals in Zeiten des Fachkräftemangels“, ergänzt Harms. Während des Projekts dokumentiert Trapico die Anforderungen und Erfahrungen im Einsatz der neuen Technologie und analysiert daraus resultierende Änderungen in Betriebsprozessen, um ihre Wirtschaftlichkeit zu evaluieren. Das Vorhaben soll auch auf der InnoTrans 2024 präsentiert werden.
Das Projekt steht unter der Konsortialführung der FH Aachen. Die Arbeitsschwerpunkte im vorliegenden Projekt sind die Absicherung der Fahrbewegung sowie die Schnittstelle zum elektronischen Stellwerk. Die FH unterstützt die Partner bei der Systemanalyse, vor allem durch Betrachtung der Anforderungen zur Umfelderkennung. Auch die Arbeiten zur Sensoreinheit samt Software fallen in ihre Verantwortung. Die Hauptverantwortlichkeit von Talbot Services liegt in der Analyse der Anforderungen an das System sowie des Sicherheitsbedarfs. Außerdem begleitet das Unternehmen die Software-Entwicklung mit Blick auf die Umsetzung der rückwirkungsfreien Schnittstelle zum Fahrzeug. „Wir freuen uns, dass wir in unserer Mitwirkung auch das Vertrauen unserer Partner in unsere professionelle Arbeit sehen können“, so Dirk Reuters, CEO Talbot Services.
Die FH Aachen mit den beiden Standorten Aachen und Jülich und mit mehr als 15.000 Studierenden gehört zu den größten und wichtigsten Hochschulen für angewandte Wissenschaften in Deutschland. Die Fachgruppe Schienenfahrzeuge am European Centre for Sustainable Mobility arbeitet schwerpunktmäßig im Bereich Automatisierung und Digitalisierung im Schienenverkehr. Die SWEG ist ein Unternehmen mit Hauptsitz in Lahr/Schwarzwald, das in Baden-Württemberg und angrenzenden Gebieten Busverkehre und SPNV betreibt. Die Kompetenz von Talbot Services liegt nicht nur im Neubau von Personenzügen, sondern auch in der Instandhaltung, Reparatur und Modernisierung von Schienenfahrzeugen jeglicher Art.
Text: Tim Schulz und SWEG, Bild: Regionalverkehr