Der 1. Mai 2023 markiert eine Tarifrevolution im ÖPNV: Seit diesem Tag gilt das Deutschlandticket, ein bundesweites ÖPNV-Abo für 49 Euro im Monat, das aus Sicht der Bahn- und Busbranche vieles bewegt hat. Nach rund sieben Wochen zog der Verband Deutscher Verkehrsunternehmen (VDV) auf seiner Jahrestagung 2023, die vom 21. bis 23. Juni in Leipzig stattfand, eine Zwischenbilanz zur Einführung und zu den Erfahrungen der Fahrgäste, Betreiber und Verkehrsverbünde mit dem D-Ticket.
Mitte Juni waren zirka elf Millionen Deutschlandticket-Abos verkauft. Der größte Anteil davon, etwa 46 Prozent, sind umgestellte ÖPNV-Abonnements von Fahrgästen, die bereits Stammkunden waren und nun in das günstigere D-Ticket-Abo gewechselt sind. Darüber hinaus gibt es rund 44 Prozent Neuabonnenten, die in der Vergangenheit den ÖPNV bereits hin und wieder oder regelmäßiger genutzt haben und mit dem D-Ticket jetzt aus teureren und damit einnahmestarken Ticketangeboten in das günstige Abo wechselten. Die Quote an Neukunden, die bisher so gut wie nie Bus und Bahn gefahren sind, ist – gegenüber ersten Erhebungen im Mai – leicht gestiegen und liegt bei rund acht Prozent. Erstmals lagen auch bundesweite Daten zur Nutzung des D-Tickets vor: Danach haben im Juni etwa 9,6 Millionen Fahrgäste das Ticket genutzt, im Mai waren es etwa neun Millionen Nutzer.
VDV-Präsident Ingo Wortmann sagte in Leipzig: „Die aktuellen Zahlen und die Entwicklung seit dem Start des Deutschland-Tickets zeigen, dass dieses Angebot für viele Bürgerinnen und Bürger attraktiv ist.“ Das Ticket wirkt dabei laut Wortmann in zwei Richtungen: Zum einen bewegt es die Menschen zum Umstieg oder zur häufigeren Nutzung des klimafreundlichen ÖPNV und unterstützt damit die Klimaschutzziele im Verkehrssektor. Und zum anderen sorgt das günstige Deutschland-Ticket bei vielen Pendlern für eine finanzielle Entlastung in ihrer alltäglichen Mobilität. Wortmann: „Wenn sich die Nachfrage weiter so entwickelt, dann werden wir die von der Branche prognostizierten Verkaufszahlen in der nächsten Zeit erreichen.“ Allerdings sei zu berücksichtigen, dass mit einer bundesweiten Nutzung des Tickets auch eine Erwartungshaltung einhergeht, die der ÖPNV nicht immer adäquat einlösen kann. So kaufen die Fahrgäste das Ticket nicht nur, weil es günstig ist, sondern auch, weil sie es überall in Deutschland nutzen wollen. Wortmann verwies auf die Angebotsdichte und die Qualität des ÖPNV, die bundesweit sehr unterschiedlich ausfällt: „In den Ballungsräumen brauchen wir bei gutem Angebot dringend zusätzliche Kapazitäten. Und in vielen ländlichen Räumen brauchen wir ebenso dringend insgesamt ein besseres Angebot. Deshalb ist es von immenser Bedeutung, dass nach dem Deutschland-Ticket jetzt das Deutschland-Angebot im ÖPNV folgt. Hierzu werden wir intensiv mit Bund und Ländern in den fachlichen Austausch gehen. Wir müssen den Schwung des Deutschland-Tickets nutzen, um den ÖPNV bundesweit nachhaltig auf ein neues Qualitätsniveau zu heben.“
Der VDV koordiniert im Auftrag von Bund und Ländern, wie schon beim 9-Euro-Ticket, auch beim Deutschlandticket die bundesweite begleitende Marktforschung: Monatlich werden 6000 mobile Personen ab 14 Jahren bevölkerungsrepräsentativ befragt. Die ersten Ergebnisse dieser Marktforschung – die sich noch nicht auf einzelne Bundesländer oder Regionen herunterbrechen lassen – zeigen, dass die Hauptgründe für den Kauf des D-Tickets die bundesweite Gültigkeit (41 Prozent) und der günstige Preis (36 Prozent) sind. Immerhin 18 Prozent der Befragten gaben als Kaufgrund an, dass sie damit bewusst auf Autofahrten verzichten. 22 Prozent nannten als Kaufgrund den Umweltschutz.
Bei den Gründen, das D-Ticket nicht zu kaufen, wurde der grundsätzlich fehlende Bedarf („lohnt sich für mich nicht/würde ich zu selten nutzen“) mit 41 Prozent am häufigsten genannt, gefolgt vom fehlenden Bedarf für ein ÖPNV-Abo (38 Prozent). 26 Prozent der Befragten gaben an, dass sie kein deutschlandweites ÖPNV-Ticket benötigen. Den Ticketpreis in Höhe von 49 Euro empfinden nur elf Prozent der Nichtkäufer als zu teuer und damit als Grund, das Ticket nicht zu kaufen. Sechs Prozent geben an, dass sie sich den Preis nicht leisten können.
Bei der Frage nach dem erworbenen Ticketformat, also in welcher Form das D-Ticket gekauft wurde, liegt die digitale Variante auf dem Smartphone mit weitem Abstand vorne (49 Prozent), gefolgt von der Chipkarte (37 Prozent) und dem Papierticket (elf Prozent). Von den zur Verfügung stehenden Ticketvarianten haben fast zwei Drittel der Befragten das Ticket als „Standard-Ticket“ erworben (75 Prozent), immerhin schon 18 Prozent haben ein D-Ticket als Job- oder Firmenticket.
Die bundesweite Marktforschung und die ausgewerteten Daten der Verkehrsunternehmen und -verbünde belegen nicht nur, dass die Kunden mehrheitlich ein digitales Deutschlandticket auf dem Smartphone oder als Chipkarte bevorzugen. Es wird zudem deutlich, dass die weit überwiegende Anzahl der Tickets online gekauft wird: Über 60 Prozent der D-Tickets wurden digital über eine Webseite (37 Prozent) oder App (24 Prozent) gekauft. Dies hat auch für eine Beschleunigung bei der Digitalisierung vieler Prozesse in den Verkehrsunternehmen und -verbünden gesorgt. Die dafür nötigen technischen Anpassungen sind aktuell noch nicht überall abgeschlossen, auch weil seitens der Dienstleister aufgrund der kurzfristig gestiegenen Nachfrage bei Bahn- und Busbetreibern entsprechende Engpässe entstanden sind. Selbst bei großen kommunalen Verkehrsunternehmen wie den Leipziger Verkehrsbetrieben (LVB), Gastgeber der VDV-Jahrestagung, entsteht durch das D-Ticket ein hoher zusätzlicher Aufwand im Service und in der Kundenbetreuung.
Text: Tim Schulz, Bild: Deutsche Bahn AG / Dominic Dupont