
Auf der VDV-Jahrestagung 2025, die vom 17. bis 19. Juni 2025 in Hamburg stattfindet, setzt die ÖPNV-Branche ein klares Signal: Der öffentliche Verkehr auf der Straße steht vor dem nächsten großen Schritt der Transformation – dem autonomen Fahren.
Bundesweit koordinierter Markthochlauf fehlt
Das Leitthema der VDV-Jahrestagung lautet: „Transformation braucht Verlässlichkeit – Der Mobilität in Deutschland eine Richtung geben.“ Im Fokus stehen die Zukunft der Mobilität, Digitalisierung, Effizienzerhöhung, innovative Lösungen und weitere zentrale Themen. „Deutschland muss zum Leitmarkt für autonomes Fahren im ÖPNV werden“, sagte VDV-Präsident Ingo Wortmann am 17. Juni 2025, „und die Bundesregierung muss dieses Ziel, das sie sich im Koalitionsvertrag gesetzt hat, jetzt entschlossen umsetzen.“ Sowohl Branchenverband als auch die Hamburger Hochbahn AG (HOCHBAHN), Gastgeberin der VDV-Jahrestagung, legten entsprechende Positions- und Umsetzungspapiere vor. Derzeit gibt es bundesweit diverse Pilotprojekte zum autonomen Fahren, darunter das Projekt KIRA – der Name steht für „KI-basierter Regelbetrieb autonomer On-Demand-Verkehre“ – im Rhein-Main Verkehrsverbund (RMV). Dort werden erstmals Level-4-Fahrzeuge für den Einsatz im ÖPNV getestet. Doch bislang fehlt eine bundesweit koordinierte, langfristig finanzierte Strategie und ein durch öffentliche Mittel unterstützter Markthochlauf, um den Leitmarkt im Land zu etablieren.
Bis zu 3 Mrd. Euro Anschub-Finanzierung
Im Koalitionsvertrag von CDU, CSU und SPD heißt es: „Wir machen Deutschland zum Leitmarkt für autonomes Fahren und werden mit den Ländern Modellregionen entwickeln und mitfinanzieren.“ Der VDV stellt dafür erstmals konkrete Zahlen für ein Finanzierungskonzept vor. Wortmann erläuterte: „Wir wollen uns auf ein bundesweites Projekt konzentrieren. Wir brauchen keine Fördervielfalt, sondern eine gemeinsame Kraftanstrengung der Branche mit Unterstützung der Politik. Dafür benötigen wir zunächst 1 Mrd. Euro als Anschub-Finanzierung, um die Mehrkosten der Projektphase aufzufangen.“ Darin sind die Leasingraten für die neuen Fahrzeuge, die Finanzierung von Projektpersonal, den Aufbau der Lade-Infrastruktur und Investitionen in Forschung und Entwicklung enthalten. Laut Wortmann kommen im weiteren Verlauf 2 Mrd. Euro hinzu, die für den realen Linien- und Linienbedarfs-Betrieb benötiget werden – für die Integration in gemischte Flotten, den Ausbau von Betriebshöfen und die Einrichtung von Leitstellen. Wortmann: „Mit dieser Anschub-Finanzierung von 3 Mrd. Euro kann die Transformation vom Pilotprojekt zum Regelbetrieb gelingen.“
Robo-Shuttles und Robo-Midibusse in Hamburg
Die HOCHBAHN hat ein Zukunftsbild entworfen, wie das fahrerlose Fahren optimal eingesetzt werden kann, um Angebotsqualität und Fahrgastzahlen des ÖPNV weiter zu steigern. Das Unternehmen hat diverse Erfahrungen mit autonomen Verkehren, darunter das HEAT-Fahrzeug, das bis 2021 in der Hafencity unterwegs war, sowie das derzeit laufende ALIKE-Projekt, in dem zusammen mit MOIA ein autonomes Ridepooling-System als Ergänzung zum ÖPNV mit Bus und Bahn aufgebaut wird. In den kommenden Jahren sollen zudem Robo-Shuttles und Robo-Midibusse im Linienbetrieb erprobt werden. „Mit diesem Zukunftsbild unterstreichen wir die Rolle Hamburgs als Modellregion Mobilität“, erläuterte HOCHBAHN-Chef Robert Henrich, „und setzen einen Impuls für die ÖPNV-Branche, indem wir es als Whitepaper publizieren.“
Wortmann fordert entschlossenes Vorgehen
Laut VDV-Präsident Wortmann war Deutschland war nie schlecht darin, Schlüsseltechnologien wie zu entwickeln, ist aber zu zögerlich bei der Markteinführung. Für das autonome Fahren fordert er jetzt entschlossene Schritte: „Die Zulassung von Level-4-Fahrzeugen ohne Sicherheitspersonal muss kommen.“ Benötigt werden im Rahmen des bundesweiten Projekts fünf bis maximal sieben Modellregionen, in denen autonome Systeme unter realen Bedingungen in verschiedenen Verkehrsräumen erprobt und hochskaliert werden können. Wortmann: „Und wir brauchen eine gemeinsame Roadmap – getragen von Bund, Ländern, Branche und Industrie –, die den Weg in den Regelbetrieb strukturiert vorgibt.“
On-Demand-Verkehre als Brücken-Technologie
Der ÖPNV ist bereit für das autonome Fahren. Die Politik hat mit weitsichtigen Vorentscheidungen zum On-Demand-Betrieb und für das Autonome Fahren die gesetzlichen Voraussetzungen geschaffen, so der VDV. Politik und Verwaltung müssen nun die Voraussetzungen für Skalierung, Standardisierung und sichere Inbetriebnahme schaffen – und den angekündigten Leitmarkt Realität werden lassen. „Die On-Demand-Verkehre von heute sind nicht nur ein Element der Mobilitätswende, sondern vor allem eine Brücken-Technologie für den Hochlauf des autonomen Fahrens im ÖPNV“, betonte VDV-Haupt-Geschäftsführer Oliver Wolff. Seit der PBefG-Novelle 2021 wurden über 120 Projekte mit mehr als 1000 Fahrzeugen umgesetzt – insbesondere in ländlichen Regionen, wo 80 % der Angebote stattfinden. Trotz hoher Nutzerakzeptanz – über 95 % der Systeme sind app-basiert, 58 % der Unternehmen setzen linienersetzende Verkehre ein – fehlt es an einer langfristigen Finanzierung. Fast die Hälfte der Angebote ist bereits tariflich integriert, doch viele Projekte stehen mangels Mittel vor dem Aus. Der VDV fordert daher ein bundesweites „Deutschland-Angebot“ mit verbindlichen Standards, einer Mitfinanzierung durch den Bund und Anreizmodellen der Länder. Ziel sei es, 15 Mio. Menschen mit täglich bis zu 6000 zusätzlichen Fahrplanstunden zu versorgen. „Wenn Deutschland beim autonomen Fahren im ÖPNV führend sein will, braucht es nicht nur Pilotprojekte, sondern wirtschaftliche Perspektiven – On-Demand ist dabei der reale Startpunkt“, so Wolff abschließend.
Papiere zum Download
Das VDV-Positionspapier „Der ÖPNV der Zukunft fährt autonom“ ist hier hinterlegt, während das Whitepaper mit der Strategie der HOCHBAHN hier zu finden ist.
Text: VDV/red, Bild: HOCHBAHN